Die Geschichte der Laufmützen Usedom
Die „Laufmützen Usedom“ sind mehr als nur eine Gruppe von begeisterten Läufern auf der wunderschönen Insel Usedom. Sie sind eine Gemeinschaft, die sich seit neun Jahren leidenschaftlich dafür einsetzt, Geld für Kinder zu sammeln, die eine begrenzte Lebenserwartung haben. Mit fast 170.000 Euro an Spenden haben sie bereits viel erreicht und werden nicht müde, ihr Engagement fortzusetzen. Dies ist ihre Geschichte.
Es begann im Oktober 2014, als fünf Läufer sich entschieden, zusammen zu laufen, weil es einfach mehr Spaß macht, gemeinsam aktiv zu sein. Aus dieser anfänglichen Idee entwickelte sich eine Mission: Gutes tun, und das durch Laufen. Christina Kämmerer war von Anfang an mit dabei.
Christopher Stahl: Liebe Christina, bald 10 Jahre gibt es die Laufmützen inzwischen schon. Kannst du dich noch erinnern, wie das damals alles angefangen hat?
Christina Kämmerer: Vor den Laufmützen gab es die „Weihnachtsmützen.“ Wir wollten damals, 2014, einfach eine Art Laufveranstaltung organisieren, die an den Weihnachtsfeiertagen ausgetragen wird. Beim allerersten Weihnachtsmützen-Lauf hatten wir 69 Teilnehmer und das war es. Es war ja total kurzfristig organisiert. Im Oktober 2014 hatten wir als Laufbegeisterte unsere erste Zusammenkunft, ohne dass wir irgendeinen Namen hatten – wir wollten einfach monatliche Bewegungstreffen machen. Es bestand lediglich diese Verbindung, sich jeden Monat wiederzusehen, eine Strecke gemeinsam zu laufen, sich zu bewegen. Das wollten wir einfach etablieren für alle leidenschaftlichen Läufer. Nach den ersten Treffen hatte jemand die Idee, einen Lauf auf Usedom auszutragen. So nach dem Motto: „Lass uns doch noch einen Lauf machen und am besten zu Weihnachten. Dann ist die Insel voll. Wir machen etwas Schönes. Nicht nur für unser Netzwerk, sondern wir laden einfach die vorhandenen Gäste ein, die in den Hotels zugegen sind.“ An einem gewissen Punkt verselbstständigte sich das Ganze. Wir hatten Plakate, wir hatten Sponsoren, wir hatten Glühwein, wir hatten alkoholfreien Punsch. Wir mussten es einfach nur organisieren und durchführen. Für den Lauf konnten die Gäste Weihnachtsmützen gegen eine kleine Spende erwerben. Und so hieß das dann Weihnachtsmützen-Lauf am 26.12.2014. An diesem Tag waren dann 69 Läufer vor Ort und wir haben zusammen getanzt als Aufwärmprogramm und sind dann zusammen gestartet bis zur Grenze. Und Andreas hatte total süße Schilder. So schon zwei Kilometer geschafft, schon drei Kilometer und jetzt geht es zurück. Und wenn du bis hierhin gekommen bist, dann kommst du auch noch weiter. Also total süße Motivationssprüche, so am Rand immer. Das Ganze haben wir dann auch an Spenden gekoppelt und so war der erste Schritt auf dem Weg zu den Laufmützen quasi getan.
Christopher Stahl: Rückwirkend betrachtet kann man sagen, dass der erste Weihnachtsmützenlauf ein großer Erfolg war und dazu führte, dass ihr erst richtig anfangt?
Christina Kämmerer: Andreas Stübs und ich, wir waren die zwei Personen, die dieses Projekt gestartet haben. Aus diesen zwei Personen sind am Tag der Veranstaltung 69 Läufer geworden. Dazu haben die Leute vor Ort und die Zuschauer am Rand ganz viel Geld gespendet. So sind bei diesem ersten Event 1.000 € zusammengekommen. Und diese 1.000 € haben uns so viel Kraft gegeben, dass wir beschlossen, weiterzumachen. Es ist ein geniales Gefühl, wenn man sieht, was die Leute bereit sind, für andere Menschen zu tun. Dieses Bedürfnis, den karitativen Gedanken zu unterstützen, die Idee. An diesem Punkt haben wir beschlossen dass wir sämtliche Gelder –Startgelder und freiwillige Spenden – komplett umwandeln in Spenden. Aus einstmals 1.000 € sind wir bis heute bei 167.000 € angekommen. Das ist für große Unternehmen sicher eine Lachnummer. Aber für uns ist das ein so unvorstellbar großer Betrag. Vor allem, wenn man die Einzelspenden betrachtet, die relativ klein sind. Besonders erwähnenswert finde ich zudem, dass die Leute immer wieder kommen und immer wieder spenden. Viele wandeln ihr Trinkgeld in Spenden um verzichten zum Geburtstag freiwillig auf Geschenke.
Schnell war klar, dass die gesammelten Spenden einer Kinder-Initiative in der Region zugutekommen sollten. Dabei fiel die Wahl auf den „Förderverein Kinder- und Jugendhospiz Leuchtturm e.V.“ in Greifswald. Die Gründerin der Laufmützen, Christina Kämmerer, hat persönliche Gründe für ihre Unterstützung: Die Erkrankung ihrer Mutter an Krebs im Jahr 2014 und deren erfolgreiche Genesung führten dazu, dass sie sich bewusst wurde, wie wichtig es ist, dankbar zu sein und anderen zu helfen. Ihr Sohn, der gesund ist, und die Tatsache, dass sie selbst in der Lage ist zu laufen, treiben sie an, sich für bedürftige Kinder und deren Familien einzusetzen.
Die Laufmützen haben sich nicht nur durch ihre Spendenaktionen, sondern auch durch Aufklärungsarbeit einen Namen gemacht. Sie sprechen offen über Tabuthemen im Zusammenhang mit schweren Krankheiten und dem Tod und zeigen betroffenen Familien, dass sie nicht allein sind und Unterstützung in scheinbar ausweglosen Situationen erhalten können.
Christopher Stahl: Inzwischen weiß man, dass ihr euch mit vollem Herzen für Kinder einsetzt. Euer Ziel ist es, in naher Zukunft ein stationäres Kinderhospiz in Stralsund zu eröffnen. Wie kam diese Entscheidung zu Stande?
Christina Kämmerer: Im Vorfeld des ersten Laufes haben wir überlegt, an wen wir eigentlich etwas spenden wollen. Zu diesem Zeitpunkt war ich vier Monate mit meinem jetzigen Mann zusammen. Wir hatten uns durch die Krebs-OP meiner Mama im Aufwachraum kennengelernt. Mein Mann Matthias ist selbst Forscher und meinte ihr könntet doch für die Forschung in Deutschland etwas spenden. Ich meinte zu ihm, dass das eher sein Projekt wäre und man zu Weihnachten vielleicht etwas anderes tun könnte. Weihnachten sind die Herzen der Menschen offen und man ist dafür empfänglich, wenn es darum geht, Kindern oder Familien, denen es nicht so gut geht, etwas Gutes zu tun. Und da habe ich den Vorschlag gemacht, dass wir für ein Kinderhospiz spenden, weil ich der Meinung war, dass es sowas in jedem Bundesland geben würde, ohne mich vorher tatsächlich intensiv damit zu beschäftigen. Na ja, und dafür haben wir uns dann im Endeffekt auch einstimmig entschieden.
Christopher Stahl: Ihr betreibt mit den Laufmützen wichtige Aufklärungsarbeit in Sachen Kinderhospiz und sprecht für viele Menschen eine Art Tabuthema an. Warum ist diese Message deiner Meinung nach so wichtig?
Christina Kämmerer: Uns geht es nicht nur um die finanzielle Unterstützung, sondern gerade die Verbreitung des Gedankens. Häufig ist es ja so: Dein Lebensmittelpunkt, deine Familie ist gesund, deine Kinder sind gesund. Das kann sich aber leider auch mal ändern. Von heute auf morgen kannst du eine Diagnose erhalten, die nicht Halsschmerzen oder Schnupfen bedeutet, sondern lebensbedrohlich sein kann. Und dann ist es gut zu wissen, dass es Hilfe gibt. Manchmal kann alles Geld der Welt das Kind nicht retten, aber die angebotene Hilfe in Form des Kinderhospizes kann das Leben mit dieser Diagnose leichter machen. Den Rücken freihalten und auch mal Freiräume schaffen. Vor allem, wenn es mehr als ein Kind gibt. Besonders, wenn dein zweites Kind gesund ist. Dann kann dieses Kind auch so etwas wie eine ganz normale Kindheit erleben. Oder Momente, wo der Fokus und die Aufmerksamkeit nur auf dem gesunden Kind liegen. Und nicht, dass das gesunde Kind sich immer hinten anstellen muss und einfach nicht so eine normale Kindheit haben kann wie deine Kinder, wie mein Kind, die gesund sind.
Mit der Zeit wuchs die Gruppe der Laufmützen. Inzwischen gibt es fast 100 aktive Mitglieder, darunter rund 20 Kinder. Die Altersspanne reicht von einem Jahr bis zu 88 Jahren, was zeigt, dass das Laufen Menschen jeden Alters zusammenbringt. Das auffällige grüne Laufshirt der Laufmützen ist mittlerweile weit über die Insel Usedom hinaus bekannt und wird in vielen Teilen Deutschlands sowie in anderen Ländern getragen. Die Laufmützen sind viel mehr als eine Ansammlung von Sportlern – die Laufmützen sind eine Idee, die das menschlichste und die besten Werte repräsentieren, die Usedom zu bieten hat.
Christopher Stahl: Inzwischen hat sich der Name Laufmützen etabliert. Wie kam der Name denn zustande?
Christina Kämmerer: Der Name kommt von den am Anfang erwähnten „Weihnachtsmützen“. Andreas meinte irgendwann mal zu mir, wir müssten uns ab einem gewissen Zeitpunkt einen offiziellen Namen geben. Wenn wir uns im Juli als Weihnachtsmützen ausgeben würden, wäre das doch irgendwie blöd. Wir sind dann einfach bei den Mützen geblieben. Irgendwann hat auch keiner mehr gefragt, warum wir Laufmützen heißen. Das ist so wie mit Nutella. Wir wissen alle, was es ist. Und heute weiß auch jeder, was Laufmützen sind. Das sind Leute, die grüne Shirts anhaben und die für einen guten Zweck laufen und die von Usedom kommen.
Christopher Stahl: Was viele Leute nicht wissen: die Laufmützen Usedom sind tatsächlich kein Verein im eigentlichen Sinne. Der Begriff „Lebensgefühl“ würde ich euch wahrscheinlich viel eher gerecht werden.
Christina Kämmerer: Genau richtig. Na klar, wir sind eine Interessengemeinschaft – also eine Gemeinschaft von leidenschaftlichen Bewegungsbegeisterten. Aber das Ganze findet unverbindlich und ohne Mitgliedsgebühr statt. Wenn jemand eine schöne Idee hat, z.B. bei Strecken- oder Veranstaltungsideen, dann sind wir dafür jederzeit offen. Was am zählt ist die Idee hinter den Laufmützen. Und das Schöne ist auch, dass wir eben aus allen unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen kommen. Hier treffen Menschen aufeinander, die auf der einen Seite 60 Stunden in der Woche arbeiten und auf der anderen Seite Hartz Vier empfangen. Diese Personen unterhalten sich auf Augenhöhe, weil es nur um eine Sache geht, um Bewegung. Also da kommen ganz unterschiedliche Menschen aus unterschiedlichen Schichten zusammen und sind für zwei Stunden vollkommen gleich.
Christopher Stahl: Ein unverkennbares Markenzeichen der Laufmützen sind die neongrünen Laufshirts. Du hast mir schon verraten, wo ihr damit überall inzwischen gelaufen seid. Im Grunde wart ihr schon auf sämtlichen Kontinenten am Start. Wenn man so möchte, seid ihr auch laufende Botschafter Usedoms.
Christina Kämmerer: Das passt ganz gut. Die Nachfrage nach unseren Shirts war von Anfang an hoch. Wir bekamen recht schnell Anfragen von Urlaubsgästen, die hier mit uns vor Ort gelaufen sind, ob sie ein Shirt haben könnten. Immer wieder so nach dem Motto: „Wie kann man denn so ein Shirt kriegen? Ich würde wahnsinnig gern in Freiburg, in Dresden, in München, in Kiel, in Hamburg etc. gerne damit laufen.“ Und in Deutschland hörte es nicht auf. Schnell kamen andere Länder in Deutschland und dann auch andere Kontinente dazu. Inzwischen ist es für die meisten von uns normal, dass in den Urlaub die Shirts mitgenommen werden. Ich bin in Vancouver gelaufen. Ich bin auf Sizilien und in Alaska gelaufen und ich war immer grün. Man ist einfach total stolz darauf. Eine unserer Laufmützen war letztes Jahr in Kalifornien, als seine Frau und 50 geworden ist. Zu diesem Anlass haben sie einen Hubschrauberrundflug über den Grand Canyon gemacht. Zufällig haben beide zu dieser Gelegenheit ihre grünen Shirts getragen. Plötzlich wurden ihnen von hinten auf die Schulter geklopft und jemand meinte: „Hey, eine Laufmütze“! Wie cool ist das denn? Derjenige meinte, er hätte Gänsehaut von der von den Zehen bis in die Haarspitzen bekommen. Der andere meinte dann, er komme aus Kassel und habe schon so viel von den Laufmützen gesehen und gehört. Das sind so die Momente, in denen du über beide Backen grinst.
Rolf Seelige-Steinhoff, Geschäftsführer der SEETELHOTELS, hat Usedom bereits auf viele verschiedene Arten geprägt. Ob er im Herbst 2014 schon ahnte, was einmal aus den Laufmützen werden könnte? Ganz unbeteiligt war er an der Entwicklung des Erfolgsprojektes nämlich nicht.
Christopher Stahl: Du hast mir verraten, dass Herr Seelige-Steinhoff auch nicht ganz unschuldig an der Geschichte der Laufmützen ist. Vielleicht erzählst du uns noch einmal, welchen Einfluss er auf dich und das Projekt hatte.
Christina Kämmerer: Das stimmt tatsächlich. Herr Seelige-Steinhoff hat uns von Anfang an ermutigt, mit unserem Projekt am Ball zu bleiben. Wenn man so will, hat er den Samen gelegt und wir haben die Pflanze wachsen lassen. In diesem Zusammenhang kann ich mich daran erinnern, dass er einmal Antoine de Saint-Exupéry zitiert hat: „Wenn du ein Schiff bauen willst, beginne nicht damit, Holz zusammenzusuchen, Bretter zu schneiden und die Arbeit zu verteilen, sondern erwecke in den Herzen der Menschen die Sehnsucht nach dem großen und schönen Meer.“ Genau das ist es, was uns damals die Energie gegeben hat. Rolf hatte damals schon die Nase dafür. Er hat uns dann ja auch ganz viele Shirts gesponsert. Nicht einfach nur um Werbung zu machen sondern auch wegen der Idee, die dahinter steckt. Wie du schon meintest, es ist ein Lebensgefühl. Laufen können wir alle, aber damit ist es noch schöner. Und ganz ehrlich? Die Leute müssen die Shirts auch nicht tragen. Manch einer könnte denken, dass wir Werbewände sind. Aber so nehmen wir uns überhaupt nicht wahr. Wir ziehen es wirklich aus Überzeugung und aus Begeisterung an.
Christopher Stahl: Es gibt sogar noch eine weitere Verbindung zu den SEETELHOTELS. Allerdings nicht auf Usedom, sondern auf einer anderen Insel.
Christina Kämmerer: Du sprichst unser Laufcamp an, für das wir inzwischen ein Mal im Jahr nach Mallorca ins Bahia del Sol Mensch reisen. Stimmt. Dies ergab sich daraus, dass ich mich mal bei Rolf meldete und ihm mitgeteilt habe, wie sehr ich mich darüber freue, dass wir einmal im Monat zusammenlaufen. Ich fragte dann, ob man daraus noch mehr machen könnte. Dahinter stand der Gedanke, ob wir nicht mal zusammen nach Mallorca fahren und dort eine Art Laufcamp machen könnten. Einfach um neu neu inspiriert zu werden und vielleicht auch an der Lauftechnik zu arbeiten und neue Strecken kennenlernen. Rolf war total begeistert von der Idee und bot daraufhin das Bahia del Sol als Unterkunft an. Wir hatten das erste Laufcamp 2018 und waren 25 Leute. Das Wetter war zwar richtig bescheiden, aber die Atmosphäre war genial. Daher haben beschlossen, wir wiederholen das im nächsten Jahr. Und so haben wir dann im nächsten Jahr das fünfte Laufcamp. Wir haben jetzt schon 45 Anmeldungen. Und da ist es dann so, dass wir zusammen mehrere Tage Frühsport machen, zusammen essen, Yoga machen und laufen. Am Sonntag starten wir gemeinsam beim Palma-Halbmarathon, wo auch ein Zehn-Kilometer-Lauf angeboten wird. Auf diese Art haben wir dann noch an einem offiziellen Lauf teilgenommen. Das ist ein perfekter Trip.
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